„Discover Design – Discover Bauhaus“ in den USA: Interview mit dem Designer Jan Christian Schulz

Sie sind 26 Jahre alt, Designer und Entwickler, befinden sich derzeit in Ihrem Masterstudium in Eindhoven und waren gerade zweieinhalb Monate als Workshopleiter in den USA, an Schulen, Universitäten und Museen. Wenige kennen das Bauhaus der Ära Weimar, Dessau und Berlin. Design im Unterricht ist ein weitgehend unbekannter Kontinent. Welche Verbindungswege konnten Sie aufbauen?

Jugendliche möchten ihre Welt mitgestalten! Sie sind neugierig. Fakten und Theorie sind willkommen, wenn man sie praktisch nutzen und in den Alltag integrieren kann. Dafür geben wir Impulse. Workshop heißt kreativer Freiraum ohne Vorschriften. Die Workshop-Tour der Stiftung Deutsches Design Museum „Discover Design – Discover Bauhaus“ fördert elementare Grundlagen. Neue Formen und Wege für das Zusammenleben und -wirken zu finden, für diese Idee steht das Bauhaus. Meister und Studierende wollten mit Traditionen und monokulturellen Regeln brechen und stattdessen revolutionäre Ansätze, unterschiedliche Disziplinen und Kulturen vereinen. Dieser visionäre Geist steckt uns auch heute noch an: Projekt, Begeisterung und Chancen sind vergleichbar. Ein deutscher Designer sowie junge Amerikaner*innen vielfältigster Herkunft, Interessen und Begabungen kommen zusammen, tauschen sich aus und arbeiten gemeinsam an etwas Neuem.

Stellt die Zusammenarbeit mit einem jungen Designer mehr Nähe her?

Es geht um die Situation und Atmosphäre, weniger um das Alter. Auf Routinen zu verzichten fällt mir sehr leicht, ich verkörpere nicht die Autorität eines Klassenlehrers. Wir haben die Raumsituation verändert, Stühle und Tische umgestellt. Es gab keine frontalen Monologe, Fragen bzw. sinnvolle Unterbrechungen zum Thema waren erwünscht. Design braucht gedankliche Freiheit! Man darf spielen und seine Kreativität in diesem Freiraum entfesseln, das wollte ich vermitteln und bewusst provozieren. Bei ausreichender Zeit schlossen wir die Workshops mit offenen Fragerunden ab. Kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den USA und Deutschland waren wichtige Themen. Auch über das Studieren und Leben in meinem Heimatland wollten viele Teilnehmende gerne mehr erfahren. Zu erleben, wie sich Lernende und Studierende in diesem freien Kontext entfaltet haben, hat die Lehrkräfte und Dozent*innen oft überrascht und ermutigt.

Gestalten Schüler*innen ihre Aufgaben alterstypisch, Kinder anders als Jugendliche?

Ein Pauschalurteil gibt es da nicht, aber ich habe Muster beobachten können. Je jünger die Teilnehmenden sind, desto freier gestalten sie. Sobald die Materialien verteilt waren, legten sie los. Ältere hingegen reflektieren die Aufgaben zunächst, nähern sich ihnen abstrakter. Um viel Kreativität in einem großen Interpretationsspielraum freizusetzen, haben wir Sitzgelegenheiten gestaltet. „Form follows function“ sollte heißen, ihre individuellen Bedürfnisse für ein phantasievolles Sitzobjekt zu nutzen. In den Gruppen wurden Ideenentwicklung, Ausarbeitung und Präsentation häufig von verschiedenen Mitgliedern übernommen. Sie haben sich wechselseitig inspiriert. Zur Abschlusspräsentation wurden Ergebnisse gefeiert, aber auch kritisch hinterfragt, wie seinerzeit am Bauhaus. In Kunst- und Designklassen wird oft noch strukturierter gearbeitet, denn sie sind mit dem Prozess schon etwas vertrauter. Der Ideenreichtum war unglaublich faszinierend, kein Sitzobjekt war wie das andere. Die Entwurfsvarianz reichte von fliegenden Sitzkonstruktionen über Schaukeln für mehrere Personen bis zu einem ganz archaischen Konzept: dem Fußboden.

Bauhaus heute – wie können Lernende von den gestalterischen Ansätzen profitieren?

Vor allem von der Kraft der Idee, möglichst unterschiedliche Potentiale zur Entwicklung besserer Lebensbedingungen und zur Gestaltung unserer Zukunft zu vereinen. Überall existieren heute kreative Umgebungen, Studios oder Projektbüros, in denen diese multidisziplinäre und interkulturelle Idee gelebt wird. Es geht aber nicht nur um die Vision. Design eröffnet konkrete Chancen und Spielräume, um Gesellschaft zu verändern, indem man grundlegend über ihre Bedürfnisse nachdenkt und sie kontinuierlich hinterfragt. Der Denkansatz und vor allem, wie jeder ihn in seinen Alltag integrieren kann, das wird in den Workshops erlebt. Vielleicht entstehen daraus neue Welten, sicher aber ein neues Verständnis von Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und den USA.

Transfer ist ein wichtiges Element. Wie verbinden sich Wissen und Können im Alltag?

Die Schüler*innen entdecken das Bauhaus als Mindset, sie übertragen das kreative Prinzip auf die eigene Situation und reflektieren daraufhin ihre Umgebung. Um eine neue Idee für ein Sitzmöbel zu entwickeln, muss man sich zu Beginn von archetypischen Formen befreien und das zugrundeliegende Bedürfnis – das Sitzen – erkennen. Wichtig im nächsten Schritt: Über Möglichkeiten zum Sitzen nachzudenken. Das kann fast alles sein und eröffnet einen breiteren Spielraum, der auch revolutionär-verrückte Lösungen zulässt. Einen Gestaltungsrahmen nach den individuellen Vorstellungen, beispielsweise eine Sitzmöglichkeit am Strand, durften die Teilnehmenden selbst festlegen. Wirksam im Alltag ist der Perspektivwechsel, sind neue Denkmuster und Verhaltensweisen. Wir entwarfen ein Möbel für neue Zwecke mit minimalen Materialien in kurzer Zeit. Je nach Dauer des Workshops gestalteten die Teilnehmenden im Anschluss an den Bau ihrer Sitzgelegenheit auch ein Poster, das ihre Idee kommunizieren sollte. So vertieften wir den Designprozess sowohl im Drei- wie auch im Zweidimensionalen. All diese Elemente sind leicht in den Alltag übertragbar. Reflexion und Improvisation, Teilen und Mitteilen sind angewandte Fähigkeiten, die in fast jeder Situation helfen, nicht nur im Design.

Es gab kleine und größere Lernorte, kulturelle Institutionen und offizielles Programm zum Deutschlandjahr USA. Was war besonders anregend?

Zwanzig Staaten, fast siebzig Locations, nichts hat sich wiederholt. Es ist schwierig, einen Ort auszuwählen, der besonders anregend war: Die gesamte Tour war ein einziges riesiges Highlight. Größe und Anlass stehen nicht unbedingt für mehr Bedeutung. Die Wertschätzung offizieller Gäste belohnte und förderte das Projekt. Mundpropaganda sorgte für Anfragen weit über den Tourplan hinaus. Immer wieder kamen neue Menschen mit neuen Ideen zusammen. Von der Kleinschule in Seattle bis zum Schulkomplex für Tausende in Orlando. Wir waren im Zentrum von New York City, in den Suburbs von Kansas City und haben Auftritte mit der „Wunderbar Together“ PopUp Tour zum Deutschlandjahr in Atlanta und Portland gefeiert. Dass wir Design, das Bauhaus und kulturelle Gemeinschaft mit so vielen Menschen teilen durften, war ein einzigartiges und unglaublich inspirierendes Erlebnis. Es sind neue Freundschaften entstanden, ich warte gespannt auf ein Wiedersehen in Deutschland oder in den USA. Das Abenteuer hat zwei weit entfernte Länder ein Stück näher gebracht und eine neue Leidenschaft zum Miteinander-Gestalten in mir, aber sicher auch in vielen Menschen, denen wir begegnet sind, entfacht.

Das Gespräch mit Jan Christian Schulz führte Helga Sonntag-Kunst im Auftrag der Stiftung Deutsches Design Museum am 13. Dezember 2019.